Impulspapier: Zukunft der Wertschöpfung

Veröffentlicht am: 1. April 2020

Deutschland steht unter Handlungsdruck. Die Verschiebung globaler Kräfteverhältnisse und protektionistische Bestrebungen verändern die Regeln der internationalen Zusammenarbeit und des weltweiten Handels. Energie- und Klimawandel sind im Fokus der gesellschaftlichen Debatte und erfordern konkrete Maßnahmen. Gleichzeitig sind digitale Technologien Treiber für neue Geschäftsmodelle und die Regeln der Datenökonomie – die gemeinsame Nutzung und das Handeln von Daten – verändern industrielle Produktionsprozesse grundlegend. Globale Wertschöpfungsketten werden im Zuge dieses radikalen Strukturwandels in Wirtschaft und Gesellschaft neu entworfen.

1Neue Wertschöpfungsmodelle verändern die Regeln von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft

Deutschland steht unter Handlungsdruck. Die Verschiebung globaler Kräfteverhältnisse und protektionistische Bestrebungen verändern die Regeln der internationalen Zusammenarbeit und des weltweiten Handels. Energie- und Klimawandel sind im Fokus der gesellschaftlichen Debatte und erfordern konkrete Maßnahmen. Gleichzeitig sind digitale Technologien Treiber für neue Geschäftsmodelle und die Regeln der Datenökonomie – die gemeinsame Nutzung und das Handeln von Daten – verändern industrielle Produktionsprozesse grundlegend. Globale Wertschöpfungsketten werden im Zuge dieses radikalen Strukturwandels in Wirtschaft und Gesellschaft neu entworfen.

Gegenwärtig erwirtschaftet das produzierende Gewerbe in Deutschland ein Viertel der Bruttowertschöpfung (24,2
Prozent)1 und beschäftigt fast ein Fünftel (18,9 Prozent)2 aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Gleichzeitig ist Deutschlands Industrie tief in den globalen Wertschöpfungsnetzen verankert. Darauf beruht zu großen Teilen die deutsche Exportstärke. Seit der Finanzkrise im Jahr 2008 schwindet Deutschlands Exportwachstum jedoch zunehmend, insbesondere in zentralen Industrien wie dem Maschinenbau und der Automobilproduktion. Gleichzeitig hat sich vor allem China zum Anbieter hochtechnologischer Produkte entwickelt und den Anteil ausländischer Exporte verringert.3 Chinesische Unternehmen investieren verstärkt selbst in Fertigungskapazitäten sowie in eigene Forschung und Entwicklung.

Deutschland läuft Gefahr, von einem Leitanbieter zum Zulieferer degradiert zu werden.4 Zunehmend sinkende Anteile an der weltweiten Wirtschaftsleistung unterstreichen diese Entwicklung. Während Deutschlands Beitrag zum globalen Bruttoinlandsprodukt (BIP) 1995 noch bei 8,4 Prozent5 lag, betrug er 2018 nur noch 3,2 Prozent6. Insbesondere die globale Automobilproduktion ist im Jahr 2018 – erstmals seit der Finanzkrise – um 1,7 Prozent gesunken.7

Die deutsche Industrie steht damit vor einer doppelten Herausforderung: a) ihr bisheriges produktionsorientiertes Wertschöpfungsmodell im Kontext der Datenökonomie disruptiv zu verändern und dabei b) einen neuen, vorzugsweise europäischen Weg einzuschlagen – insbesondere vor dem Hintergrund geopolitischer Verschiebungen und Handelsbeschränkungen.

Vor dem Hintergrund dieser Herausforderungen adressiert das vorliegende Impulspapier des Hightech-Forums die folgende Leitfrage:

  • Wie kann Deutschland eine führende Rolle in den zukünftigen globalen Wertschöpfungsnetzwerken etablieren?
Hightech-Forum -

Die folgenden Kapitel adressieren drei zentrale Handlungsempfehlungen:

  • Die digitale Transformation der Wirtschaft zukunftsfähig gestalten: digitale Geschäftsmodelle unter Berücksichtigung von immateriellen Produktionsfaktoren und Nachhaltigkeitsaspekten auf‌bauen.
  • Die Rolle und Verantwortung des Staates in der Datenökonomie neu denken: neue staatliche Strategien für eine Leitbildorientierung, für Regulierung und für Infrastrukturinvestitionen entwickeln.
  • Innovationschancen durch Offenheit und Kooperation nutzen: Kooperationskulturen, Co-Creation in der
    Innovationsentwicklung und Vernetzung für Datenaustausch etablieren.

 

Die Beratungen des Hightech-Forums und die Impulse einer Interviewstudie mit ausgewählten Expertinnen und Experten benennen drei Grundannahmen, auf denen die Handlungsempfehlungen basieren:

1. Zukünftige Strategien und Wettbewerbsfähigkeit an den nationalen Stärken ausrichten: Die Datenökonomie wird bestehende Wertschöpfungsketten radikal verändern. Damit der Strukturwandel gelingt und die Chancen der Industrie 4.0 genutzt werden können, müssen zukünftige Strategien auf vorhandenen industriellen Fähigkeiten auf‌bauen und diese erweitern.8 Deutschlands industrielle Basis und Leistungsfähigkeit ist geprägt durch technologische Kompetenz sowie einen hohen Grad an Diversifizierung und Spezialisierung, z. B. in der Fertigungs- und Prozessindustrie. Das Zusammenspiel des ausgeprägten deutschen industriellen Domänenwissens mit IT- und Datenanalysekompetenzen, also die Verbindung der analogen Welt mit den Chancen der digitalen Welt eröffnet Deutschland erhebliche Wertschöpfungspotenziale.9

2. Forschungs-, Innovations- und Industriepolitik integriert betrachten: Eine in die Zukunft gerichtete Industriepolitik muss auf einer Forschungs- und Innovationspolitik10 basieren, deren erklärtes Ziel es ist, nachhaltig gesellschaftlichen Mehrwert zu schaffen. Mit der Hightech-Strategie 202511 hat die Bundesregierung eine innovationspolitische Agenda formuliert, deren Kern zwölf Missionen sind, in denen Forschungsziele als gesellschaftliche Bedürfnisse formuliert sind. In der Industriestrategie 2030 wurden unter Federführung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie Empfehlungen für eine Standortpolitik gesammelt.12 Beide Strategien gilt es, ressortübergreifend abgestimmt umzusetzen und weiterzuentwickeln, um die Leistungsfähigkeit des deutschen Innovationssystems zu erhalten und auszubauen. Darüber hinaus bedarf es vor allem einer engen Zusammenarbeit von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft, um Transfer zu realisieren.

3. Gemeinsam mit den europäischen Partnern handeln: Die genannten Herausforderungen lassen sich nur gemeinsam im Dialog und in Kooperation mit den europäischen Partnern meistern. Europäische Zusammenarbeit ist die nachhaltigste Strategie, um im globalen Innovationswettbewerb eine Führungsposition zu erreichen. Es braucht ein gemeinsames Narrativ und eine gemeinsame Skalierung, um die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Innovationen im Binnenmarkt und auf globaler Ebene zu stärken. Dabei geht es im Kern um einen gleichberechtigten Zugang zu internationalen Märkten, sicheren Technologien und Infrastrukturen. Deutschland sollte seinen Vorsitz der EU-Ratspräsidentschaft 2020 nutzen, um hier richtungsweisende Impulse zu setzen. Europäische Partnerschaften sind notwendig, um die Wettbewerbsfähigkeit und auch Lebensqualität in Europa zu erhalten.


2Die digitale Transformation der Wirtschaft zukunftsfähig gestalten

Neue Informations- und Kommunikationstechnologien transformieren Produkte und die industrielle Produktion. Der Einsatz neuer Technologien ermöglicht eine höhere Flexibilisierung der industriellen Fertigung und eine Individualisierung der Produkte. Die digitale Transformation der Wirtschaft ist dabei nicht nur eine der großen Herausforderungen unserer Zeit – sie ist vor allem beispiellos und ohne Blaupause. Unternehmen, die ihre Waren und Dienstleistungen kombiniert vertreiben, also auch den Betrieb und Unterhalt der Produkte vermarkten, sind derzeit besonders erfolgreich. Smart Services – datenbasierte Dienstleistungen – sind eine Chance, einen hohen Anteil der Wertschöpfung im eigenen Unternehmen zu halten. Darüber hinaus bietet der digitale Betrieb der physischen Welt in Deutschland, Europa und der ganzen Welt, verbunden mit neuen Leistungsversprechen, Potenziale für die deutsche Wirtschaft. Das zweite Kapitel adressiert die unternehmerischen Gestaltungsoptionen, um nicht nur Effizienz, sondern auch Transparenz und Nachhaltigkeit in die Wertschöpfungsketten zu bringen.

Aufbau und Skalierung digitaler Geschäftsmodelle: Digitalisierung verändert die gesamte Wertschöpfungskette und sollte neue Leistungsversprechen für einen gesellschaftlichen Mehrwert ermöglichen. Bei der digitalen Wertschöpfung geht es weniger um eine digitale Veredelung von Produkten (z. B. Predictive Maintenance), sondern vielmehr um einen anderen Betrieb der physischen Welt auf Grundlage von Daten. So entstehen neue Produkte, existierende werden aktualisiert oder anders eingesetzt. Dies kann die Grundlage datenbasierter Geschäftsmodelle und neuer Formen der Wertschöpfung sein. Plattformbasierte Geschäftsmodelle werden sich weiter ausdifferenzieren und in ihrer Bedeutung zunehmen.13 Bislang nutzen deutsche Unternehmen digitale Plattformen vor allem intern und als unterstützende Infrastruktur. Ihr Anteil an der gesamten Bruttowertschöpfung des verarbeitenden Gewerbes ist sehr gering (1,5 Prozent).13 Die erfolgreiche Umsetzung digitaler Geschäftsmodelle beruht insbesondere auf drei Faktoren:

1. Erhöhung der Datenqualität und Erschließung ihres (ökonomischen) Werts und ihrer Nutzung,14 um den Nutzen der angebotenen Leistung (Value Proposition) zu steigern und organisationsinterne Prozesse zu verbessern.

2. Fokus auf Plattformen richten und die Voraussetzungen für die Skalierung – und angepasste regulatorische Rahmenbedingungen – digitaler Geschäftsmodelle schaffen.

3. Netzwerk- und Skaleneffekte nutzen – durch eine Verschiebung weg vom einzelnen Unternehmen oder Kunden hin zu umfassenden Ökosystemen. Diese basieren auf einer Öffnung und Flexibilisierung klassischer Wertschöpfungsketten hin zu dynamischen, digitalen Netzwerken.

Investitionen in immaterielle Produktionsfaktoren steigern: Durch den wirtschaftlichen Strukturwandel und die Verschiebung hin zu Dienstleistungsangeboten steigt die Bedeutung immaterieller Produktionsfaktoren. Der Anteil von Investitionen in immaterielle Produktionsfaktoren an der Bruttowertschöpfung ist zwischen 1995 und 2016 in Deutschland um etwa zwei Prozentpunkte angestiegen und liegt damit noch immer international vergleichsweise niedrig.13 Software und Datenbanken (Strukturkapital), Mitarbeiter (Humankapital) sowie Kunden- und Marktdaten (Beziehungskapital) spielen aber in der digitalen Ökonomie eine entscheidende Rolle – insbesondere für kleine und mittlere Unternehmen (KMU), deren Erfolg besonders stark vom Faktor Humankapital abhängt.15 Anders als materielle Güter sind sie unbegrenzt wiederverwertbar, schneller skalierbar und kontextspezifisch.16 Allerdings ist ihr Wert für den Unternehmenserfolg schwer messbar.

Um die Bedeutung immaterieller Produktionsfaktoren sowohl für einzelne Unternehmen als auch für die volkswirtschaftliche Produktivität stärker in den Fokus zu rücken, werden drei konkrete Handlungsempfehlungen formuliert:

1. Forschung zur besseren Erfassung und Bewertung immaterieller Produktionsfaktoren gezielt fördern, um den Zusammenhang zwischen Investitionen in immaterielle Produktionsfaktoren und dem Unternehmenserfolg deutlich zu machen.

2. Investitionen in immaterielle Produktionsfaktoren steigern, um zu internationalen Wettbewerbern aufzuschließen.

3. Immaterielle Produktionsfaktoren auf der politischen Agenda sichtbar machen und ihren makroökonomischen Beitrag zum BIP und zum Produktivitätswachstum verstehen und betonen.

Veränderte Ansprüche an Qualifizierung und Wissensmanagement werden ausführlich im Impulspapier „Innovation & Qualifikation“ des Hightech-Forums diskutiert (voraussichtliche Veröffentlichung: Juli 2020).

Grüne Zukunftsmärkte und Nachhaltigkeit in den Wertschöpfungsketten stärken: Für die Zukunft des deutschen Industriestandorts ist die Verbindung von ökologischer und digitaler Transformation zukunftsweisend (z. B. durch „Green IT“). Die deutsche Wirtschaft und die deutsche Politik können bei der Förderung und dem Ausbau grüner Zukunftsmärkte eine führende Rolle im internationalen Wettbewerb einnehmen. Die Digitalisierung sollte dabei stärker als bisher für das Erreichen von Nachhaltigkeitszielen genutzt werden.17 Digitale Infrastrukturen können nicht nur die Effizienz, sondern auch die Transparenz in den Wertschöpfungsketten erhöhen. Nachhaltigkeit und eine schonende und effiziente Ressourcennutzung können so auf allen Stufen der Wertschöpfungskette abgebildet werden und für neue Wertschöpfungspotenziale sorgen. Die zunehmende Bedeutung von Nachhaltigkeit kann zum Treiber von Produkt- und Prozessinnovationen sowie Smart Services werden, z. B. im Bereich der Kreislaufwirtschaft18 oder der Sharing Economy. Um neu entstehende grüne Zukunftsmärkte nachhaltig zu entwickeln und deutsche Firmen weltweit wettbewerbsfähig zu positionieren, sollte(n)

1. Unternehmen, Wissenschaft und Politik gemeinsam neue Technologien, z. B. im Bereich Speichertechnologien, Wasserstoffsysteme und alternativer Antriebstechnologien, erforschen und systematisch fördern.

2. Regulierung zu einem zusätzlichen Innovationstreiber werden und die Integration von Umwelt- und Effizienzkriterien in Innovationsprozesse z. B. mit einem Transparenz-Monitoring verbinden (etwa durch „Sustainable Development Key Performance Indicators“19 in Anlehnung an die Sustainable Development Goals der UN20).

3. Industrie- und Umweltpolitik enger verzahnt werden, um Zukunftsmärkte für grüne Technologien schneller zu erschließen und ihre Anwendung in die Breite zu bringen.


3Die Rolle und Verantwortung des Staates in der Datenökonomie neu denken

Die staatliche Verwaltung ist auf Berechenbarkeit und die Wahrung der Rechtssicherheit ausgerichtet. Disruptive Veränderungen wie die digitale Transformation erfordern eine Neuinterpretation staatlicher Handlungsstrukturen und -kulturen, um diese zielgerichtet, verantwortungsvoll und partizipativ zu gestalten. Das folgende Kapitel nimmt daher die Rolle des Staates in der Datenökonomie in den Blick und formuliert Empfehlungen für politisches Handeln. Die Ansatzpunkte einer missionsorientierten, demokratischen und verantwortungsbewussten Innovationspolitik beschreiben dabei einen Dreiklang aus Gemeinwohlorientierung, Regulierung und Investitionen.

Innovationspolitik an gesellschaftlichen Leitbildern („Missionen“) ausrichten und Vertrauen stärken: Eine zukunftsweisende und verantwortungsbewusste Innovationspolitik muss sich an gesellschaftlichen Leitbildern, Zielen und Bedarfen21 orientieren und technologischen Fortschritt und gesellschaftlichen Mehrwert vereinen. Der Einsatz von neuen Technologien, Daten und wissenschaftlichen Erkenntnissen ist Mittel zur Lösung großer gesellschaftlicher Herausforderungen – und nicht Selbstzweck. Die Richtung des technologischen und gesellschaftlichen Wandels sollte Gegenstand einer breiten, öffentlichen Diskussion werden. Dies ist möglich durch die zielgerichtete Einbindung von Bürgerinnen und Bürgern in Dialogprozesse und eine regionale Einbettung von Transformationsprozessen durch lokale Initiativen und Fördermaßnahmen.22 Um Partizipation kontextspezifisch zu ermöglichen und nutzbar zu machen, müssen die Stellschrauben für gesellschaftliche Beteiligung im Forschungssystem und in den Innovationswertschöpfungsketten identifiziert werden. Es braucht außerdem einen partizipativen Diskurs über die Kriterien, nach denen ein Technologieeinsatz nach seiner Gemeinwohlorientierung bewertet werden kann. So kann durch weitere öffentliche Förderung eine verantwortungsbewusste Innovationspolitik (Responsible Research und Innovation) 23 vorangetrieben werden.

Adaptive Regulierung verantwortungsvoll nutzen: Klassische Regulierungsansätze stoßen bei der Gestaltung digitaler Transformationsprozesse und der Steuerung plattformbasierter Geschäftsmodelle an ihre Grenzen. Die Empfehlungen der Kommission Wettbewerbsrecht 4.0 und der Datenethikkommission zur Stärkung der Konsumentensouveränität, des Datenschutzes und des fairen Datenzugangs sind unverrückbare Grundsätze, um Datenmissbrauch und die Ausnutzung von Marktmacht zu verhindern und gleichzeitig ein Wachstum deutscher und europäischer Digitalunternehmen zu ermöglichen.24, 25 Adaptive Steuerungs- und Regulierungsansätze26, 27 können eine Antwort auf die zunehmende Beschleunigung und Komplexität aktueller und zukünftiger Innovationsprozesse sein.28 In regulatorischen Experimentierräumen können neue Technologien und ihre gesellschaftliche Akzeptanz und Nutzung in realweltlichen Nischen getestet werden. Sie ermöglichen auch die gleichzeitige Gestaltung von neuen Technologien und ihrer Regulierung,29 z. B. der rechtlichen Regelungen zum autonomen Fahren. Das impliziert die Einbeziehung unterschiedlichster Innovationsakteure und die kollektive Identifikation gemeinwohlorientierter Kriterien zur Evaluation öffentlicher Experimente – und widerspricht der Befürchtung, als Einfallstor für eine deregulierte Technologieeinführung genutzt zu werden. Auch wenn die Idee von Innovationsfreiräumen mittlerweile Gegenstand politischen Handelns ist,30 sind ihre Potenziale für eine verantwortungsvolle Regulierung von Innovationen bei Weitem noch nicht ausgeschöpft. Am Beispiel der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) zeigt sich, dass europäische Standards eine internationale Vorreiterrolle einnehmen können31 – aber gleichzeitig unternehmerisches Handeln verhindern können.32

Investitionen in digitale und physische Infrastruktur steigern: Um die Chancen digitaler Geschäftsmodelle nutzen zu können und im globalen Wettbewerb nicht weiter den Anschluss zu verlieren,33 muss nicht nur flächendeckend und massiv in den Ausbau einer leistungsstarken digitalen Infrastruktur investiert werden. Hier ist der Einsatz des Sondervermögens „Digitale Infrastruktur“ – ein 2018 eingerichteter Fonds auf Bundesebene – ein wichtiger Schritt. Öffentlicher und privater Handlungsbedarf besteht aber auch im Hinblick auf die Modernisierung analoger Infrastrukturen, insbesondere des Verkehrsnetzes und der Energieversorgung.

Neben Infrastrukturinvestitionen sind staatliche Maßnahmen, die über Nachfrage Innovationen anstoßen, ein zentraler Bestandteil einer missionsorientierten Innovationspolitik (Public Procurement of Innovation) 34. Durch öffentliche Investitionsprogramme und Beschaffung stärkt der Staat seine Rolle als Nachfrager und Treiber von Innovationen, indem er Unternehmen Anreize für den Einstieg in Zukunftsbranchen13 und die Diffusion neuer Technologien liefert. Er kann selbst als Leitanwender neuen Zukunftstechnologien zum Durchbruch verhelfen.


4Innovationschancen durch Offenheit und Kooperation nutzen

Weltweite Tendenzen zu Protektionismus und wirtschaftlichem Nationalismus gefährden die globale Wettbewerbsfähigkeit und damit Wohlstand und Innovationskraft. Bisher beruht der Erfolg der deutschen Industrie auf der Offenheit unserer Volkswirtschaft und der tiefen Integration in internationalen Wertschöpfungsketten.35 Der Aufbau und Erhalt von Souveränität in einer digitalisierten, vernetzten Welt ist für Deutschland und Europa derzeit eine drängende, noch zu klärende Frage. Die neu entfachte Debatte über Souveränität sollte in jedem Fall nicht das Vertrauen in freien Wettbewerb und Handel zerstören. Sie sollte vielmehr nutzbar gemacht werden, um selbstbewusst Gestaltungsräume für Politik und Wirtschaft zu identifizieren und eigene Handlungsstrategien zu entwickeln, im Sinne einer strategischen Souveränität. Vor diesem Hintergrund adressiert das vierte Kapitel die Vielfalt der Akteure in Wertschöpfungsnetzwerken und plädiert für eine Kultur der Kooperation und Offenheit.

Kooperationskulturen schaffen: Für den Wandel von klassischer Zusammenarbeit in Wertschöpfungsketten hin zu Kooperationen in dynamischen Wertschöpfungsverbünden und -netzwerken braucht es eine Kultur der Kooperation, die bereits in der schulischen und universitären Ausbildung gefördert werden sollte. Die digitale Transformation braucht einen Kulturwandel, durch den die Öffnung des Innovationsprozesses und das Teilen von Wissen nicht als Gefahr, sondern als Chance gesehen wird. Das Denken und Arbeiten in Ökosystemen kann in Unternehmen z. B. durch einen kollaborativen Führungsstil oder die Abschaffung individueller Vergütungsstrukturen, einhergehend mit einer stärkeren Anerkennung von Teamleistungen, gefördert werden. Die Etablierung bereichsübergreifender „Excellence Cluster“ oder „Industry Labs“ ist ein weiterer Ansatz, um die gemeinsame Bearbeitung komplexer Fragestellungen zu befördern.

Co-Creation in der Innovationsentwicklung und Transfer: Im Zuge der Transformation unternehmerischer Wertschöpfung verwischen Branchengrenzen, es entstehen ungewöhnliche Koalitionen und neue Akteure treten in den Wettbewerb ein. Dies vollzieht sich rasant an den Schnittstellen einstiger Wirtschaftsbereiche, an denen sich neue Märkte formieren, beispielsweise in der Mobilitäts-, Energie- und IT-Branche. Neue Kooperationsmodelle entstehen zwischen etablierten Unternehmen, Start-ups, KMU, universitären und außeruniversitären Forschungseinrichtungen. Darüber hinaus sind Konsumenten und Nutzer, durch Ansätze wie Co-Creation und Crowdsourcing, bereits in frühen Phasen in die Innovationsentwicklung eingebunden. Sie werden zum Wertschöpfungspartner.36 Da Technologiepfade und zukünftige Geschäftsfelder oft bereits im Stadium der Forschung und Entwicklung identifiziert werden, sollten insbesondere diese Prozesse von Beginn an gemeinsam aufgesetzt werden. So können Innovationen passgenauer an gesellschaftlichen Bedarfen ausgerichtet werden. Der Staat kann durch seine Förderpolitik entsprechende Anreize für gemeinsame, kooperative Wertschöpfung setzen. Dies könnte durch spezielle Gründungsförderlinien oder steuerliche Anreize gelingen, die Kooperationen über Systemgrenzen hinweg besonders begünstigen.

Vernetzung für Datenaustausch ermöglichen: Der zukünftige Wettbewerb in der Digitalökonomie entscheidet sich über die Verfügbarkeit und den Zugriff auf Daten. Die Nähe und der Kontakt zum Kunden sind Voraussetzungen, um Geschäftsmodelle konsequent an den Kundenanforderungen auszurichten und um die Chancen digitaler Geschäftsmodelle und Smart Services zu nutzen. Gleichzeitig erfordert die steigende Vernetzung und Automatisierung von Wertschöpfungsprozessen gemeinsame (Kommunikations-)Standards. Diese sind nur durch neue Kooperationsformen des Datenaustauschs zu erreichen, um Daten und Wissen zu teilen – ohne die Prinzipien des Datenschutzes in Frage zu stellen. Das Cloud-Projekt GAIA-X kann die Infrastruktur für Datenaustausch auf europäischer Ebene liefern. Seine Umsetzung hängt aber nicht zuletzt von der Kooperation und dem Vertrauen der Partner untereinander ab. Der Staat kann die Rahmenbedingungen für den Auf‌bau digitaler Ökosysteme schaffen, indem er den Zugang zu Plattformmärkten sicherstellt, den Austausch aller Akteure untereinander fair gestaltet und das Wettbewerbsrecht im Hinblick auf skalierbare Geschäftsmodelle weiterentwickelt.


5Annex

Literaturverzeichnis

1 Statistisches Bundesamt (2020): Verteilung der Bruttowertschöpfung in Deutschland nach Wirtschaftszweigen im Jahr 2019. Verfügbar unter de.statista.com/statistik/daten/studie/252123/umfrage/anteil-der-wirtschaftszweige-an-der-bruttowertschoepfung-in-deutschland/ | Letzter Zugriff am 24.01.2020.

2 Statistisches Bundesamt (2019): Industrie, Verarbeitendes Gewerbe. Verfügbar unter www.destatis.de/DE/Themen/Branchen-Unternehmen/Industrie-Verarbeitendes-Gewerbe/_inhalt.html | Letzter Zugriff am 09.01.2020.

3 Accenture Research (2019): Global Value Chains – Evolutions of Germany’s Position.

4 Accenture (2020): TOP500-Studie Deutschland. Weltmarktführer von morgen. Neue Ökosysteme in den Industrien – Wertschöpfungsketten neu gedacht.

5 Bundesverband der Deutschen Industrie (2015): Globale Kräfteverschiebung – Wo steht die deutsche Industrie in der Globalisierung?

6 Statistisches Bundesamt (2019): Die 20 Länder mit dem größten Anteil am kaufkraftbereinigten globalen Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Jahr 2018. Verfügbar unter de.statista.com/statistik/daten/studie/166229/umfrage/ranking-der-20-laender-mit-dem-groessten-anteil-am-weltweiten-bruttoinlandsprodukt/ | Letzter Zugriff am 09.01.2020.

7 International Monetary Fund (2019): World Economic Outlook. Global Manufacturing Downturn, Rising Trade Barriers, p. 34.

8 United Nations Industrial Development Organization (2019): Industrial Development Report 2020 – Industrializing in the digital age.

9 World Trade Organization (2019): Global Value Chain Development
Report 2019 – Technological Innovation, Supply Chain Trade, and Work-ers in a Globalized World.

10 Expertenkommission Forschung und Innovation (2020): Jahresgutachten zu Forschung, Innovation und technologischer Leistungsfähigkeit Deutschlands 2020.

11 Bundesregierung (2018): Forschung und Innovation für die Menschen – Die Hightech-Strategie 2025.

12 Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2019): Industriestrategie 2030 – Leitlinien für eine deutsche und europäische Industriepolitik.

13 Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2019): Die volkswirtschaftliche Bedeutung von digitalen B2B-Plattformen im Verarbeitenden Gewerbe.

14 Bundesverband Digitale Wirtschaft (2018): Data Economy – Datenwertschöpfung und Qualität von Daten.

15 Orth, R.; Wuscher, S.; Steinhöfel, E.; Meyer, C.; Will, M.; Alwert, K.; Bornemann, M. (2014): Studie Wissensstandort Deutschland – Deutsche Unternehmen auf dem Weg in die wissensbasierte Wirtschaft. Berlin: Fraunhofer IPK.

16 Haskel, J.; Westlake, S. (2017): Capitalism without Capital – The rise of the intangible economy. Princeton: Princeton University Press.

17 Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (2019): Hauptgutachten – Unsere gemeinsame digitale Zukunft.

18 Accenture Strategy (2017): Chancen der Kreislaufwirtschaft für Deutschland – Analyse von Potenzialen und Ansatzpunkten für die IKT-, Automobil- und Baustoffindustrie. Berlin: Rat für Nachhaltige Entwicklung.

19 Hristov, I.; Chirico, A. (2019): The Role of Sustainability Key Performance Indicators (KPIs) in Implementing Sustainable Strategies, Sustainability 11(20). DOI: 10.3390/su11205742

20 United Nations (2015): Transforming our World: The 2030 Agenda for Sustainable Development.

21 Mazzucato, M. (2018): Mission-oriented research & innovation in the European Union. A problem-solving approach to fuel innovation-led growth. Luxembourg: European Commission.

22 Hightech-Forum (2019): Soziale Innovationen. Verfügbar unter www.hightech-forum.de/publication/soziale-innovationen/ | Letzter Zugriff am 12.02.2020.

23 Stilgoe, J.; Owen, R.; Macnaghten, P. (2013): Developing a framework for responsible innovation, Research Policy, 42(9). DOI: 10.1016/j.respol.2013.05.008

24 Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2019): Ein neuer Wettbewerbsrahmen für die Digitalwirtschaft – Bericht Kommission Wettbewerbsrecht 4.0.

25 Datenethikkommission der Bundesregierung; Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (2019): Gutachten der Datenethikkommission der Bundesregierung.

26 Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) (2018): OECD-Ausblick Regulierungspolitik 2018, S. 28.

27 Kuhlmann, S.; Stegmaier, P.; Konrad, K. (2019): The tentative governance of emerging science and technology – A conceptual introduction, Research Policy, 48. DOI: 10.1016/j.respol.2019.01.006

28 Hightech-Forum (2020): Agilität im Innovationssystem. Verfügbar unter www.hightech-forum.de/publikationen/ | Letzter Zugriff am 31.03.2020.

29 Pfotenhauer, S. M.; Winickoff, D. E. (2018): Chapter 10. Technology Governance and the Innovation Process. In: OECD (Hrsg.), Science, Technology and Innovation Outlook – Adapting to Technological and Societal Disruption. Paris: OECD Publishing, pp. 221-240.

30 Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2019): Freiräume für Innovationen – Das Handbuch für Reallabore.

31 Lindner, R. (2020): Amerikaner bekommen Datengesetz. Verfügbar unter www.faz.net/aktuell/wirtschaft/nach-europaeischem-vorbild-amerikaner-bekommen-datengesetz-16562881.html | Letzter Zugriff am 09.01.2020.

32 Bitkom Research (2019): Repräsentative Umfrage „DS-GVO, ePrivacy, Brexit – Datenschutz und die Wirtschaft“. Verfügbar unter www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/Zwei-Drittel-der-Unternehmen-haben-DS-GVO-groesstenteils-umgesetzt | Letzter Zugriff am 13.01.2020.

33 Europäische Kommission (2019): The Digital Economy and Society Index (DESI) 2019, Länderbericht Deutschland.

34 Boon, W.; Edler, J. (2018): Demand, challenges, and innovation. Making sense of new trends in innovation policy, Science and Public Policy, 45(4). DOI: 10.1093/scipol/scy014

35 World Trade Organization (2019): Global Value Chain Development Report 2019 – Technological Innovation, Supply Chain Trade, and Workers in a Globalized World.

36 Piller, F.; Möslein, K. M.; Ihl, C.; Reichwald, R. (2017): Interaktive Wertschöpfung kompakt – Open Innovation, Individualisierung und neue Formen der Arbeitsteilung. Wiesbaden: Springer Fachmedien.

 

Über dieses Impulspapier

Die Inhalte des vorliegenden Impulspapiers wurden im aktuellen Hightech-Forum auf der Sitzung am 11. März 2020 beraten und kommentiert. Sie stellen keinen einstimmigen Beschluss des Gremiums dar.

Die in diesem Impulspapier dargelegten Positionen geben nicht notwendigerweise die Meinung der Bundesregierung wieder.

Dieses Impulspapier wurde von den Mitgliedern des Thementeams „Zukunft der Wertschöpfung“ des Hightech-
Forums, Prof. Dr.-Ing. Holger Hanselka, Prof. Dr. Anke Hassel, Prof. Dr. Katharina Hölzle und Frank Riemensperger (Sprecher), erarbeitet mit dem Ziel, die Bundesregierung bei der Umsetzung der Hightech-Strategie 2025 zu beraten.

Ergänzend zu den Beiträgen des Thementeams wurde eine Expertenbefragung durchgeführt. Die Auswahl der Expertinnen und Experten beruht auf Vorschlägen aus dem Thementeam. Die Interviews dauerten durchschnittlich
eine Stunde und wurden im Zeitraum November 2019 bis Januar 2020 durchgeführt.

 

Danksagung und beteiligte Organisationen

Die Mitglieder des Hightech-Forums bedanken sich bei den folgenden Interviewpartnerinnen und -partnern für Impulse und Anregungen:

  • Dr. Tilman Altenburg, Programmleiter am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik
  • Prof. Dr.-Ing. Wilhelm Bauer, geschäftsführender Leiter des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO
  • Prof. Dr. Irene Bertschek, Leiterin des Forschungsbereichs „Digitale Ökonomie“ am Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung; Professorin für Ökonomie der Digitalisierung, Justus-Liebig-Universität Gießen
  • Dr. Roland Busch, Stv. Vorstandsvorsitzender, Chief Technology Officer, Siemens AG
  • Dr. Florian Butollo, Leiter der Forschungsgruppe „Arbeiten in hochautomatisierten digital-hybriden Prozessen“ am Weizenbaum-Institut; wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsgruppe Globalisierung, Arbeit und Produktion, Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung
  • Prof. Dr. Svenja Falk, Managing Director, Accenture Research
  • Prof. Gabriel Felbermayr, Präsident des Instituts für Weltwirtschaft; Professor für Volkswirtschaftslehre, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel
  • Prof. Holger Görg, Direktor des Kiel Centre for Globalization; Professor für Außenwirtschaft, Christian-
    Albrechts-Universität zu Kiel
  • Prof. Jonathan Haskel, Professor für Wirtschaftswissenschaften, Imperial College Business School
  • Jörg Hofmann, Erster Vorsitzender der IG Metall
  • Dr. Mario Holzner, geschäftsführender Direktor des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche
  • Lilian Matischok, Abteilungsleiterin Business Digital, Bereich Industrial Technology, Robert Bosch GmbH

 

Über das Hightech-Forum

Die Mitglieder des Hightech-Forums wurden im Jahr 2019 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung für den Zeitraum der aktuellen Legislaturperiode berufen. Sie üben ihre Funktion ehrenamtlich neben ihrer beruflichen Funktion aus. Die Geschäftsstelle des Hightech-Forums unterstützt die Vorsitzenden und Mitglieder des Hightech-Forums in ihrer Gremienarbeit und wird finanziert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Die Geschäftsstelle ist bei der Fraunhofer-Gesellschaft angesiedelt.

 

Redaktionsschluss
19. März 2020

4 Kommentare zu diesem Thema

  • 17. April 2020 10:55 Kommentar von Bayer AG

    Deutschlands Wohlstand fußt auf seiner Innovationskraft. Daher ist die Empfehlung des Hightech Forums nach einer integrierten Forschungs-, Innovations- und Industriepolitik ausdrücklich zu begrüßen. Für die effektive Förderung zukunftsreicher Industriesektoren kommt die Verzahnung von Industriepolitik mit der Innovations- und Forschungspolitik unter Berücksichtigung von Schlüsseltechnologien wie den Life Sciences, der Biotechnologie und Künstlichen Intelligenz in den Diskussionen zu kurz. Denn für forschungsintensive Verfahren und Produkte, wie in der Biotechnologie, ist es wichtig, dass sie nicht nur in Deutschland und Europa entwickelt, sondern auch schnell zur Umsetzung und Anwendung gelangen. Andernfalls verlagert sich die Wertschöpfung mittelfristig in andere Regionen der Welt. So gehen Wertschöpfungsketten verloren und müssen im Bedarfsfall wieder mühsam aufgebaut werden. Die Knappheit von Atemschutzmasken und Medikamenten in der aktuellen Covid-19 Krise ist dabei exemplarisch zu nennen.
    Die digitale Transformation und die Veränderung des produktionsorientierten Wertschöpfungsmodells im Kontext der Datenökonomie stehen bei im Fokus der Empfehlungen des Hightech Forums. Darüber hinaus gilt es jedoch, dass die Politik die Weichen stellt um grundsätzlich die Chancen diverser neuen Technologien und innovativen Produkte und Dienstleistungen zu nutzen. Auf diese Weise können Wohlstand und Arbeitsplätze langfristig und diversifiziert in Deutschland gesichert werden.
    Ergänzend zur Datenökonomie sei hier beispielshaft die von Politik und Gesellschaft geforderte Transformation der Wirtschaft in eine Bioökonomie genannt. Denn die Technologien der Bioökonomie bieten sektorübergreifend ein enormes wirtschaftliches und ökologisches Potenzial. Zudem leistet die Bioökonomie auch einen wesentlichen Beitrag zu Nachhaltigkeit und Klimaschutz sowie zur Stärkung von Kreislaufwirtschaft und Ressourceneffizienz. Die Biotechnologie ist eine der tragenden Säule des Transformationsprozesses in eine biobasierte und nachhaltige Wirtschaft und durchdringt als Schlüsseltechnologie unterschiedlichste Branchen und trägt dort zur Wertschöpfung bei. Beispiele umfassen die Gesundheits- und Energiewirtschaft, die Lebensmittel- und Futtermittelproduktion, die Chemie, die Papierindustrie oder Pflege- und Kosmetikprodukte. Zudem erlaubt der breite Einsatz biotechnologisch basierter Produktionsverfahren, viele Grundstoffe und Konsumgüter qualitativ besser und ressourcenschonender herzustellen.
    Die Politik sollte das Ziel verfolgen, Investitionen in Biotechnologie zu verstärken, die gesetzgeberischen Voraussetzungen für neue biotechnologische Verfahren, auch bei Pflanzen als Rohstoffbasis einer Bioökonomie, zu verbessern sowie den Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern zu unterstützen. Ergänzend sollte daher auch ein ressortübergreifender BioDialog eingerichtet werden, um Chancen, Risiken und Fragen der Governance mit einem breiten Kreis an Stakeholdern aus Forschung, Wirtschaft und Gesellschaft zu diskutieren.


  • 6. April 2020 19:19 Kommentar von Jens Neuhüttler / Fraunhofer IAO

    Aus meiner Sicht ein wirklich sehr gelungenes Impulspaper zur Zukunft der Wertschöpfung, der die zentralen Fragestellungen adressiert und dazu relevante Impulse liefert. Spannend wird insbesondere sein, wie die Empfehlungen konkret ausgestaltet werden und sich in der Praxis umsetzen lassen.
    Für eine weitere Konkretisierung fallen mir folgende Anregungen und Anmerkungen ein:
    Kapitel 2: Aufbau und Skalierung digitaler Geschäftsmodelle: Die Diskussion über vorteilhafte Strategien in der „Plattformökonomie“ sollte vor dem Hintergrund der Bedeutung von KMU für die deutsche Wirtschaft geführt werden (z.B. entlang der Fragen, inwieweit sich gemeinsam mit anderen KMU Industrie-relevante Plattformen entwickeln lassen, wie geeignete Partner gefunden werden und wie die Messung und Verteilung von Kooperationserträgen erfolgt).
    Kapitel 2: Investitionen in immaterielle Produktionsfaktoren steigern: Aus meiner Sicht sollte hier auch die Frage gestellt werden, wie es gelingen kann, ein Qualitätsimage „Made in Germany“ bzw. „Made in Europe“ auch für immaterielle Leistungen und insbesondere Smart Services zu schaffen. Also wie lassen sich systematisch qualitativ hochwertige datenbasierte Dienstleistungen entwickeln und wie kann diese Qualität gegenüber Wettbewerber verdeutlicht werden. Ob Smart Services akzeptiert werden, hängt m.M.n. im Wesentlichen davon ab, ob der Nutzen (=wahrgenommene Qualität) die wahrgenommenen Risiken (z.B. hinsichtlich Datensicherheit oder einem Kontrollverlust) überwiegen.
    Kapitel 3: Investitionen in digitale und physische Infrastruktur steigern: Im Hinblick auf die europäische Daten-Souveränität sollte eine stringente und ganzheitliche Sicht eingenommen werden. Diskutieren wir über einheitliche Standards und eine Datenhaltung innerhalb der EU, muss auch über die Infrastruktur zur Datenübertragung gesprochen werden. Vielleicht helfen die eingangs beschriebene Verschiebung globaler Kräfteverhältnisse und Absatzmärkte dabei, europäische Lösungen voranzutreiben.
    Kapitel 4: Co-Creation in der Innovationsentwicklung: Hier stellt sich aus meiner Sicht insbesondere die Frage, wie sich kooperative Geschäftsmodelle frühzeitig aus Unternehmenssicht simulieren, bewerten und mit Alternativen vergleichen lassen. Wie ändert sich zum Beispiel die Vorteilhaftigkeit unter Berücksichtigung von Konjunkturschwankungen, in Zeiten von Krisen etc.


  • 2. April 2020 15:46 Kommentar von Prof. Dr. Dirk Christian Dohse , Leiter des Research Centers "Knowledge Creation and Growth", Kiel Institut für Weltwirtschaft

    Dies ist m.E. ein sehr spannender und lesenswerter Beitrag. Die Leitfrage „Wie kann Deutschland eine führende Rolle in den zukünftigen globalen Wertschöpfungsnetzwerken etablieren?“ ist von höchster wirtschaftspolitischer Relevanz, und der Beitrag enthält eine Reihe wichtiger und richtiger Handlungsempfehlungen. Besonders gefallen hat mir der Abschnitt 3 („Die Rolle und Verantwortung des Staates in der Datenökonomie“). Hier heißt es zur Rolle von gesellschaftlichen Leitbildern (Missionen) in der Innovationspolitik: „Eine zukunftsweisende und verantwortungsbewusste Innovationspolitik muss sich an gesellschaftlichen Leitbildern, Zielen und Bedarfe orientieren und technologischen Fortschritt und gesellschaftlichen Mehrwert vereinen … Die Richtung des technologischen und gesellschaftlichen Wandels sollte Gegenstand einer breiten, öffentlichen Diskussion werden.“ Dies erscheint mir sinnvoll und vielversprechend, denn hier dürften offene Gesellschaften wie Deutschland / Europa durchaus Vorteile gegenüber Diktaturen wie China haben.
    An einigen Stellen hätte ich mir allerdings gewünscht, dass der Beitrag konkreter wird, und dass klarer umrissen wird, wie denn die Wertschöpfungsketten der Zukunft aussehen könnten. Der Artikel enthält keinerlei Aussagen darüber, wo die Wertschöpfung der Zukunft stattfindet, wie die räumliche Arbeitsteilung aussehen könnte wer die zentralen Akteure sind. Zum anderen bleibt häufig unklar, wer die Adressaten der Handlungsempfehlungen sind. Die Empfehlungen scheinen sich in den meisten Fällen an einen diffusen Pool aus Politik, Unternehmen und Zivilgesellschaft zu richten, ohne dass klar gesagt wird, wer welche Aufgaben übernehmen sollte. Beispielsweise heißt es auf Seite 6: „Für den Wandel von klassischer Zusammenarbeit in Wertschöpfungsketten hin zu Kooperationen in dynamischen Wertschöpfungsverbünden und -netzwerken braucht es eine Kultur der Kooperation, die bereits in der schulischen und universitären Ausbildung gefördert werden sollte.“ Letztendlich sind es aber weder Schulen noch Universitäten noch der Staat insgesamt, sondern gewinnmaximierende multinationale Unternehmen, die internationale Wertschöpfungsverbünde organisieren und die, wenn es ihnen nützt, die „Kultur der Kooperation“ durchaus virtuos beherrschen.


  • 1. April 2020 18:41 Kommentar von Prof. Dr. Sebastian M Pfotenhauer, Technische Universität München / Munich Center for Technology in Society

    Das Papier enthält viele wichtige Punkte, die nuanciert erarbeitet wurden und die man genau so unterschreiben kann. Neben vielen Stärken gibt es aus Sicht der Innovationsforschung für mich zwei mögliche Kritikpunkte:

    (1) Die Chancen für eine solche Neuausrichtung der Wertschöpfungen sind in Deutschland ungleich verteilt. Initiativen in diese Richtung laufen Gefahr, bestehende Ungleichheiten zwischen den Bundesländern weiter zu verschärfen. Hier bräuchte es Ansätze, die von Vornherein Fragen von Solidarität und Chancengerechtigkeit berücksichtigen, um eine weitere politische Polarisierung in Deutschland zu vermeiden. Das gleiche gilt a fortiori für Europa, wo Deutschland zunehmend als dominant wahrgenommen wird. Regionale Innovationsstärke und inter-regionale Ungleichheit sind zwei Seiten der gleichen Medaille.

    (2) Diskussionen über die Zukunft der Wertschöpfung berührt auch die fundamentale Frage, was wir als Gesellschaft eigentlich mit “Wert” meinen und ob das zwangsläufig auf ökonomischen “value” beschränkt sein muss. Die COVID-19 Krise zeigt, dass Wertschöpfung auf unsichtbaren, systemrelevanten Tätigkeiten beruht, die typischerweise nicht im Innovationsdiskurs auftauchen. Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie (gut) Anliegen von sozialer und Umwelt-Nachhaltigkeit abgebildet sind. Zudem zeigt die Innovationsforschung einen Trend zur Individualisierung der Wertschöpfung, bei denen Firmen Produkte und Services gemeinsam mit einzelnen oder kollektiven Nutzen gemeinsam generieren. Dadurch gibt es weniger kohärente Wertschöpfungs”ketten” im klassischen Sinne an deren Ende der Verbraucher steht, sondern ein Amalgam aus co-creativen Prozessen. All die zeigt, dass es einer Neubewertung des Wert-Konzeptes bedarf, wenn Deutschland mittelfristig wettbewerbsfähig und nachhaltig agieren will.

    MfG,
    Prof. Dr. Sebastian M. Pfotenhauer

    Carl von Linde Assistant Professor of Innovation Research
    Munich Center for Technology in Society (MCTS)
    TUM School of Management
    Technische Universität München

    Augustenstr. 46, Room #456
    80333 München, Germany

    office: +49 89.289.29222
    mobile: +49 17.3344.1148

    Innovation, Society, and Public Policy Group
    Coordinator, EU H2020 Consortium SCALINGS


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